Die EU-Kommission hat das „Automobilpaket“ vorgelegt. Die Politiker kommen in ihrem Vorschlag für die künftige Gesetzgebung dem Sektor mit aufgeweichten CO2-Zielen entgegen: Der CO2-Ausstoß von neuen Pkw soll 2035 nur um 90 und nicht um 100 Prozent gesenkt werden. Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus.
CDU, SPD und Grüne
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) begrüßte die vorgeschlagene Abkehr vom „Verbrenner-Aus“. Er sagte: „Es ist gut, dass die Kommission nach dem klaren Signal der Bundesregierung jetzt die Regulierung im Automobilbereich öffnet“. Mehr Technologieoffenheit und mehr Flexibilität seien richtige Schritte, um Klimaziele, Marktrealitäten, Unternehmen und Arbeitsplätze besser zusammenzubringen.
Die Bundesregierung müsse die umfangreichen Vorschläge der Kommission jetzt im Einzelnen prüfen. Bei der Ausgestaltung sei Technologieoffenheit „von zentraler Bedeutung“. Außerdem dürften neue Vorgaben nicht zu mehr Bürokratie führen. „Das gilt vor allem für die vorgeschlagene Regelung zu Dienstwagenflotten: Neue gesetzliche Quoten für Fahrzeugtypen in Dienstwagenflotten lehnen wir weiter ab“, erklärte der Bundeskanzler. Es brauche Innovationen und Flexibilität statt Verboten. „Nur so gelingt nachhaltiger Klimaschutz.“
Bundesumweltminister Carsten Schneider äußerte sich ebenfalls positiv: „Die Regeln werden flexibler, aber die Klimawirkung bleibt erhalten.“ Der SPD-Politiker sprach von einem pragmatischen Mittelweg, der auch die Anliegen der Gewerkschaften aufgreife. Autohersteller und Zulieferer bekämen jetzt mehr Spielraum für den Übergang zur Elektromobilität.
„Die Zukunft der Mobilität ist elektrisch. Elektroautos sind technisch überlegen und werden immer besser und günstiger. In zehn Jahren werden fast alle Neuwagen in Europa Elektroautos sein“, so Schneider. Die Klimawirkung bleibe erhalten. „Das, was durch die zusätzliche Flexibilität mehr an CO₂ ausgestoßen wird, muss an anderer Stelle ausgeglichen werden.“ Dies werde zu einem Nachfrageschub für europäischen grünen Stahl führen.
Kritik kommt hingegen aus der Opposition: Das auto-Paket sei wirtschafts- und klimapolitisch ein großer Fehler, sagte die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge. „Mit der faktischen Aufgabe des 2035-Ziels wird Planungssicherheit zerstört, Investitionen werden entwertet und Europas Klimaziele rücken in weite Ferne.“ Dröge warf Kanzler Merz eine „ideologische Kampagne gegen die Elektromobilität“ vor. „Wer in einer Phase akuter Wirtschaftsschwäche Zukunftstechnologien bekämpft, gefährdet mutwillig hunderttausende Industriearbeitsplätze und die Zukunft des Automobilstandorts Deutschland.“
Ähnlich äußerte sich Parteichef Felix Banaszak: „Während andere Länder mit Hochdruck an emissionsfreien Autos arbeiten, verkauft Friedrich Merz die Zukunft unserer deutschen Automobilwirtschaft an China.“ Banaszak beklagte: „Das auto-Paket, das die EU-Kommission heute unter massiven Druck von Schwarz-Rot vorgelegt hat, wird zum gigantischen Bürokratiemonster. Denn künftig muss jeder Autohersteller in Kleinstarbeit die Menge von eingebautem grünen Stahl und den Einsatz von E-Fuels vorrechnen und nachweisen können – wir wissen alle: Das wird so nicht klappen.“
VDA, ZDK und ACEA
Auch der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) kritisiert die Vorschläge zur Abschwächung der Abgasvorgaben ab 2035. Die von der EU „richtigerweise anerkannte Technologieoffenheit muss mehr als ein Lippenbekenntnis sein“, so VDA-Präsidentin Hildegard Müller. „Das ist hier leider nicht der Fall.“ Was nach mehr Offenheit aussehe, sei „mit so vielfältigen Hürden versehen, dass es droht, in der Praxis wirkungslos zu bleiben“.
In Zeiten zunehmenden internationalen Wettbewerbs sei das Gesamtpaket der Kommission für eine Abkehr vom sogenannten Verbrenner-Aus „fatal“, urteilte Müller. Für den Automobilstandort Europa, für Wirtschaft, Wachstum und Beschäftigung sei „heute kein guter Tag“. Die VDA-Präsidentin bemängelte, die EU wolle neue Anforderungen an die Autoindustrie stellen, sie nannte grünen Stahl und erneuerbare Kraftstoffe. Dies seien Anforderungen, „bei denen die Verfügbarkeiten nicht in unserer Macht liegen“. Die Industrie sei also auf Entwicklungen angewiesen, die sie nicht beeinflussen könne.
Die Kommission habe – statt pragmatische Anpassungen und Flexibilisierungen an der CO₂-Flottenregulierung – vor allem „neue Nachweis- und Berichtspflichten, Verschiebungen und Adaptionen vorgenommen“, so Müller. Diese würden „weder den Realitäten Rechnung tragen, noch die dringend benötigten Kurskorrekturen beinhalten“. Die VDA-Präsidentin rief Parlament und Mitgliedstaaten auf, den Vorschlag der Kommission in den anstehenden Verhandlungen „entscheidend zu verändern“. Die beabsichtigte technologische Öffnung müsse „auch tatsächlich praktisch ermöglicht werden“.
Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) begrüßte die von der EU-Kommission vorgelegte Anpassung der CO2-Flottenziele für Neuwagen ab 2035 anders als der VDA ausdrücklich. Die Absenkung des Reduktionsziels von 100 auf 90 Prozent sowie die geplante Einbeziehung von Plug-in-Hybriden und Range-Extender-Fahrzeugen über 2035 hinaus seien ein notwendiger und überfälliger Schritt hin zu mehr Realismus in der europäischen Klimapolitik.
Für das Kfz-Gewerbe sei diese Kurskorrektur ein notwendiger erster Schritt, denn die bisherige „electric-Only-Strategie“ der EU greife ins Leere. Zehn Jahre vor dem Stichjahr 2035 sei nur ein Viertel der erforderlichen Ladeinfrastruktur aufgebaut. Die bisherige Ausbaugeschwindigkeit müsste verdreifacht werden, soll das Ziel von 3,5 Millionen Ladepunkten bis 2035 erreicht werden. „Und: die einseitige Angebotsorientierung bei der Flottenregulierung der EU kommt bei den Kunden nur schleppend an. Die Rechnung wurde ohne den Wirt gemacht, d. h. ohne die Kundenbedürfnisse und -fragen zu kennen und ernst zu nehmen“, so der ZDK.
„Unsere Betriebe erleben jeden Tag, wo die europäische Regulierung an der Realität scheitert: bei hohen Ladekosten, fehlender Infrastruktur und Alltagstauglichkeit für Verbraucherinnen und Verbraucher“, sagte ZDK-Präsident Thomas Peckruhn. „Klimaneutrale Mobilität funktioniert nur, wenn sie für die Menschen bezahlbar, praktikabel und verlässlich ist. Alles andere bleibt Theorie.“
„Die heutigen Vorschläge erkennen zu Recht die Notwendigkeit von mehr Flexibilität und Technologieneutralität an, um den ökologischen Wandel zum Erfolg zu führen. Dies stellt eine wesentliche Änderung gegenüber dem geltenden Recht dar“, erklärte Sigrid De Vries, Generaldirektorin des Europäischen Autohersteller-Verbandes ACEA. „Allerdings steckt der Teufel oft im Detail. Wir werden das Paket nun prüfen und gemeinsam mit den Mitgesetzgebern daran arbeiten, die Vorschläge dort kritisch zu stärken, wo dies erforderlich ist.“
DUH und ADAC
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisierte den EU-Vorschlag als folgenschweren Rückschritt für die europäische Klima- und Industriepolitik. Unter dem Deckmantel vermeintlicher „Technologieoffenheit“ übernehme die Kommission zentrale Narrative der Autolobby und verlängere die Laufzeit ineffizienter Verbrenner-Technologien durch neue Schlupflöcher.
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH: „Der Vorschlag der EU-Kommission ist ein Kniefall vor den in Klimafragen ignoranten deutschen Verbrenner-Konzernen, insbesondere von mercedes-Benz, bmw und Volkswagen. Es geht um kurzfristige Profite mit klimaschädlicher, alter Technologie … Dass die Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen – deren Green Deal ein zentrales Vermächtnis sein sollte – nun sogar das verbindliche 100-Prozent-Ziel für 2035 durch ein 90-Prozent-Ziel ersetzen will, ist ein Offenbarungseid. Wenn dieser Kommissionsvorschlag so umgesetzt wird, lassen sich die europäischen Klimaziele im Verkehr nicht einhalten.“
Der ADAC begrüßte es dagegen, dass die EU-Kommission von der strengen Flottenregulierung abweichen und eine gewisse Öffnung für andere Technologien ermöglichen will. Mit der Anpassung der Zielwerte könne es möglich werden, neben batterieelektrischen Pkw auch Plug-in- und Range-Extender oder reine Verbrenner-Pkw nach 2035 zuzulassen, um die Vielfalt des Bedarfs von Verbrauchern abzudecken. Gleichzeitig kritisierte der Mobilitätsclub, dass die Potenziale von alternativen Kraftstoffen nicht in ausreichendem Maße nutzbar würden.
ADAC-Technikpräsident Karsten Schulze: „Autokäufer wollen bei Antrieben und Energien mehr Wahlmöglichkeiten, damit Klimaschutz im Verkehr leichter möglich wird und bezahlbar bleibt. Der Kommissionsvorschlag zeigt die Richtung, nutzt aber den Wettbewerb der Technologien zu wenig.“ Denn welche technischen Lösungen für mehr Klimaschutz eingesetzt würden, sei sekundär.
Die EU-Kommission hätte laut dem ADAC stärkere Anreize für alternative Kraftstoffe setzen müssen. „Bei der Anrechnung von bis zu sieben Prozent durch grünen Stahl und bis zu drei Prozent durch erneuerbare Kraftstoffe muss mehr Flexibilität möglich werden. Hier werden erhebliche Chancen vertan.“ Angesichts der hohen Bedeutung von Biokraftstoffen und E-Fuels allein für die Dekarbonisierung des Pkw-Bestands sei nicht nachvollziehbar, warum deren Einsatz bei neuen Pkw so eng beschränkt werde.
Die Anpassung der Flottengrenzwerte sei keine Absage an die Elektromobilität, betonte der ADAC-Technikpräsident. Sie trügen aber den Realitäten stärker Rechnung, nachdem die E-Mobilität in der gesamten EU noch nicht wie erwartet hochgelaufen und bei vielen privaten Autokäufern noch Zurückhaltung zu spüren sei. Schulze: „Die Anpassungen sind in Teilen richtig. Die EU-Kommission hat es vermieden, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Gleichzeitig werden Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien und Ladeinfrastruktur nach wie vor nicht konsequent genug gesetzt, damit alle verfügbaren Technologien zum Klimaschutz beitragen können.“
Volkswagen
Europas größter Automobilhersteller Volkswagen hat die von der EU-Kommission vorgeschlagene Abkehr vom Verbrenner-Aus begrüßt. Der Plan aus Brüssel sei ein „pragmatischer Entwurf“, der aus Sicht des Konzerns „insgesamt wirtschaftlich vernünftig“ ist. „Sehr positiv“ zu bewerten sei der Vorschlag, kleine Elektrofahrzeuge künftig besonders zu fördern.
Es sei auch für Volkswagen „unstrittig“, dass Elektromobilität die führende Technologie der Zukunft sei. Dies habe die Kommission mit ihrem Vorschlag deutlich gemacht. „Überaus wichtig“ nannte der Konzern den Plan, ein Zwischenziel 2030 zu flexibilisieren und so Bußgelder für die Autobauer abzuwenden.
Automobile Magazine-Germany





































































































